06.04.2010

Der lange Tag

Ich höre gewöhnlich auf meine Mama, obwohl ich schon 24 Jahre alt bin. Endlich, das ist ganz und gar normal, weil die Mütter überhaubt selten was schlechtes raten. Manchmal kriege ich aber die unnötige Lehren von Selbstständigkeit. Ich glaube seit Jahren daran, dass wenn man etwas gut gemacht sehen will, muss er es selbst von Anfang bis Ende tun. Heute wurde mir noch zweimal die Bestätigung davon gegeben.
Erst soll ich ein bisschen Vorgeschichte erzählen. Obwohl ich jetzt in Moskau wohne, früher war ich daneben - in einer Siedlung, eins Fahrstunde von Moskau entfernt. Meine Mutter wohnt noch immer dort, und ich besuche sie von Zeit zu Zeit. Manchmal gehe ich dorthin mit eigennützigem Ziel - die Zähne behandeln zu lassen. Das ist viel billiger als in Moskau (zirka 20 Euros pro Füllung, gegen 100 oder mehr in der Stadt), und ich bin kaum überzeugt, dass es irgendwelche Unterschied in Qualität dazwischen gibt.
Die Billigkeit hat aber seine Kehrseite: wegen der Bürokratie in unseren Polikliniken, muss man manche wahnsinnige Aktionen unternehmen. Erst soll man um 7 Uhr kommen und einen Anmeldungsschein kriegen. Danach, wenn er so glücklich war, diesen so leicht verschwindenden Schein abzuzwingen, muss man nochmal wiederkehren um angegebenen Zeit - zum Beispiel, 9.20. Nur dann hat der Dulder eine Chance, seinen Schmerz erlösen zu lassen.
Damit man die Schwieriglkeit völlig verstehen könnte, muss ich ergänzen, dass ich ein echter Nachtmensch bin. Wenn werde ich um 7 Uhr außer Bett gesehen, die höschte Möglichkeit ist dass ich die ganze Nacht gesoffen, gespielt oder gelesen hab.
So, ich kam zuerst nach dem vierstundigen Schlaf zur Anstalt, bekam den ersehnten Fetzen Papier und ging zu Hause wieder, um noch ein Stündchen zu liegen. Da kam die erste unverhoffte Irreführung von Mama.
"Sohn, du kannst ja deine Sachen hier lassen und nach der Therapie abnehmen" - sagte sie.
"Na gut.." - brüllte ich, noch kaum was begreifend. Das Entscheiden machte meinen Tag. Wenn auch ich meinen Rücksack sofort nähme, könnte ich den frühen Zug fangen und schon um 12 bei Arbeit sein. Übrigens, mein Arbeitstag fängt am spätesten um 14 Uhr an, so hatte ich die Möglichkeit, früher Vogel zu sein.
Man braucht nicht zu erraten, dass alle Pläne haben gebrochen worden. Erst bewegte sich die Reihe so langsam, als ob jeder Patient bekam am wenigstens fünf Zähne gezogen. Dadurch verließ ich den ersten Zug. Und ja, meine letzte Chance zu Arbeit rechtzeitig zu kommen wurde von Mama wieder verdorben, und wieder ja ganz zufällig. Sie nannte mir eben solche Ankunftzeit nächstes Zuges, die 10 Minuten später als die richtige war. Als ich die leere Haltestelle ansah, verstand ich plötzlich, dass die Arbeit noch weiter geschoben sei.
Und gäbe es doch irgendwen, über wen sich ärgern können, außer mich! Endlich erreichte ich das Büro um 4 Uhr(!). Um doch teilweise pünktlich zu sein, saß ich dort bis zur Mitnacht.
So, es ist ja erstaunlich genug, dass ich hier noch sitze, atme und sogar schreibe.

Und es wäre so leicht, der ganzen Scheisse zu entgehen. Nur selbst in den Fahrplan zu schauen. Kaum mehr als eine Minute.

Wenigstens, erhielte ich die Mut, diese Aufzeichnung zu schaffen =)